Täglich bis zu sechs Hinrichtungen im Iran – deutlicher Anstieg der Exekutionen in den letzten Wochen
Täglich bis zu sechs Hinrichtungen – Der Iran steigert die Zahl der Exekutionen seit April
Laut dem UN-Sonderberichterstatter über die Menschenrechtslage im Iran, Ahmed Shaheed, und dem UN-Berichterstatter zu willkürlichen Hinrichtungen, Christof Heyns, wurden zwischen dem 9. und dem 26. April insgesamt 98 Gefangene hingerichtet. Damit steige die Zahl der Hinrichtungen, die der UNO seit Anfang des Jahres gemeldet wurden, auf 340.
Unter den Hingerichteten seien mindestens sechs politische Gefangene und sieben Frauen gewesen. 15 Exekutionen fanden demnach in der Öffentlichkeit statt. Die Verurteilten sind in der Mehrzahl wegen Drogendelikten verurteilt.
Mina Ahadi, Sprecherin des Internationalen Komitees gegen die Todesstrafe e.V., vermutet, dass der Iran die Zeit nach den Atomgesprächen in Lausanne nutzt, da die internationale Politik „diplomatisch schweige“ zu den Menschenrechtsverletzungen im Iran, um die mühsamen Verhandlungen nicht zu gefährden. Im Juni sollen diese in die letzte Runde gehen.
Die Initiative gegen die Todesstrafe e.V. und das Internationale Komitee gegen die Todesstrafe e.V. appellieren an die UN und das EU-Parlament, das nicht hinzunehmen, denn das Unrecht jeder einzelnen Hinrichtung ist immer gleich, die Qualen für die Verurteilten und ihre Familien ebenso.
Amnesty International veröffentlichte den Brief eines zum Tode Verurteilten, den dieser kurz vor seiner Hinrichtung absenden konnte. Hamed Ahmadi war 2012 mit fünf weiteren Männern zum Tode verurteilt worden, nachdem man sie wegen der vage definierten Straftat „Feindschaft zu Gott“ (moharebeh) für schuldig befunden hatte.
„An einem kalten Herbstmorgen im November 2012 weckten sie mich auf und sagten, ich würde ins Sanandadsch-Gefängnis [Provinz Kordestan] verlegt werden. Normalerweise werden zum Tode verurteilte Personen nur zur Vollstreckung der Strafe verlegt. Ich fühlte, wie der Schatten der Hinrichtung sich auf mich legte. Alle Insassen des Trakts wurden versammelt. Damals befanden sich zehn Menschen im Todestrakt. Einige weinten, andere waren in Gedanken versunken. Wir dachten, dass man uns vielleicht einfach verlegen würde, doch die erniedrigenden Blicke der Wärter verrieten etwas anderes. Sie legten uns allen Handschellen und Augenbinden an, schoben uns in einen Bus und verhöhnten uns.
Ich versuchte mir eine schöne Erinnerung vor Augen zu rufen, um Kraft zu schöpfen. Aber es ist schwer, an Glück zu denken, wenn man sich an der Schwelle zum Tod befindet. Als wir ankamen, beförderten sie uns aus dem Bus und warfen unsere Habseligkeiten auf den Boden, der vom Regen ganz schlammig war. Sie tauschten unsere Metallhandschellen durch welche aus Plastik aus, zogen sie jedoch so fest, dass sie bei einigen blutende Einschnitte verursachten. Sie nahmen uns die Augenbinden ab und brachten uns in einen Raum, dessen Wände mit handschriftlichen Nachrichten von Menschen übersäht waren, die man vor ihrer Hinrichtung dorthin gebracht hatte. Wir nahmen die Gebetswaschung vor und beteten für Frieden und Trost.
Ich begann mich zu fragen, ob ich meine Tochter wohl je wiedersehen würde. Als sie geboren wurde, konnte ich nicht dabei sein. Ich bat Gott darum, meiner Familie Kraft zu geben, und hoffte, dass sie mir wenigstens erlauben würden, mich von ihnen zu verabschieden.
Die Tür öffnete sich. Unsere Herzen begannen zu rasen. Der Alptraum vom Tod würde jetzt zur Realität werden. Sie trennten uns voneinander. Der Mut verließ uns und unsere Ängste übernahmen immer mehr die Kontrolle. Die Zeit verging langsamer als je zuvor in unserem Leben. In der vorherigen Nacht war im Fernsehen eine Dokumentation über uns übertragen worden. Alle waren der Ansicht, dass dies ein Zeichen dafür war, dass unsere Urteile bald schon vollstreckt würden.
Es sind jedoch danach noch 45 Tage vergangen. An jedem dieser Tage rechneten wir damit, dass man uns am nächsten Tag hinrichten würde. Aber niemand holte uns. Wir gingen 45-mal dem Tod entgegen. Wir verabschiedeten uns 45-mal vom Leben.
Gerade als wir begannen zu hoffen, dass wir nicht hingerichtet würden, als wir uns wieder erlaubten, an das Leben zu denken, erschienen unsere Namen auf der Liste der Personen, die in das Raja’i-Shahr-Gefängnis verlegt werden sollten. Erneut der Alptraum vom Tod. Erneut das wiederkehrende gedankliche Bild eines Mannes, der am Galgen baumelt. Dort angekommen, gaben sie uns hellblaue Kleidung. Die ist für die Häftlinge bestimmt, die hingerichtet werden sollen. Nicht eine Sekunde lang hatte ich etwas anderes vor Augen als dieses Bild der Hinrichtungsszene. Drei Tage vergingen.
Ich verlor jegliche Orientierung. Mein Hirn funktionierte nicht mehr.
Ich schlug ununterbrochen gegen die Tür und forderte laut schreiend, dass jemand kommen und meine Fragen beantworten soll. Warum sind wir hier? Meine Familie macht sich Sorgen. Erlaubt mir wenigstens, jemanden anzurufen. Endlich durfte ich einen Anruf tätigen. Als sie meine Stimme hörte, fing meine Schwester an zu weinen: „Du lebst? Der Abgeordnete für Sanandadsch hat angerufen und behauptet, dass ihr alle hingerichtet wurdet.“ Sie hatten bereits eine Trauerfeier für uns abgehalten.
Danach rief ich meinen Bruder an. Er befand sich vor dem Gefängnis. Ich fragte ihn, ob er von den sechs Personen gehört habe, die sich nicht mehr bei uns befanden. Er weinte und sagte: „Sie haben sie heute gehängt und die Leichen nicht freigegeben.“ Ich verlor die Kontrolle und fing an zu weinen und zu schreien. Die Männer, mit denen ich dreieinhalb Jahre in einer Zelle gelebt hatte, waren einfach nicht mehr da. Ich konnte es nicht fassen. Ich fühlte mich zerrissen und zerbrochen. Man hatte ihnen nicht einmal die Chance gegeben, ihren Familien Lebewohl zu sagen.
Die drohende Hinrichtung begleitete mich und meine Familie jede Sekunde. Meine Familie wurde mit mir immer und immer wieder hingerichtet. Erhielten sie einen Tag lang keine Nachricht von mir, so kamen sie sofort zum Gefängnis und dachten, dass es vorbei sei … Man hielt uns in einer Situation fest, in der sich jede Minute so anfühlte, als hätte man uns eine Schlinge um den Hals gelegt.“
Dies sind die letzten Worte, die die Angehörigen von Hamed Ahmadi von ihm haben.
Auch heute erleben Menschen im Iran dieses unfassbaren Grauen. Auch heute werden dort Menschen hingerichtet.
Quellen:
http://www.gatestoneinstitute.org/5583/iran-executions-surge
http://www.amnesty.de/2015/4/1/brief-aus-der-todeszelle?destination=node%2F2936
derstandard.at/2000015511496/2015-bereits-340-Hinrichtungen-im-Iran
Sina Vogt – Initiative gegen die Todesstrafe e.V.