Die Todesstrafe: Die psychische Last auf Seiten des Gesetzes (Teil 1)

Wenn ein Mensch hingerichtet wird, gilt das Mitgefühl den Hinterbliebenen, auf der Täter- wie auch auf der Opferseite. Doch auch die Strafverteidiger verbringen im Zweifel sehr viel Zeit mit dem zum Tode Verurteilten. Wie kommen Anwälte damit zurecht, wenn ihr Klient durch das Gesetz das Leben lässt? Können Juroren, Richter und Gouverneure ein Todesurteil „einfach wegstecken“?


„Es ist ein enormes Gefühl der Hilflosigkeit. Ich mache alles richtig, mache meinen Job, mache ihn sogar gut und dennoch wird mein Klient hingerichtet.“ Dies berichtet ein Anwalt in einem Gespräch mit Susannah Sheffer, einer klinischen Beraterin in Fragen der psychischen Gesundheit. Nach Dutzenden Gesprächen mit Angehörigen der Opfer wie auch der zum Tode Verurteilten, ist sie der Ansicht, dass nicht nur der Todeskandidat psychische Probleme mit sich trägt. Ebenso seien auch die Menschen belastet, die sich aus beruflichen Gründen mit den Verurteilten befassen (müssen). Der Kreis der Betroffenen und Leidenden sei ein erheblich größerer als die meisten vermuten würden, so Sheffer, die über ihre Arbeit auch das Buch „Fighting for their lives“ geschrieben hat.

Einige Anwälte beschrieben die eigene Arbeit einerseits als sehr langwierig und gleichzeitig zeitlich drängend. Monatelang oder über Jahre hinweg die dauerhafte, wenn auch latente Angst, gespickt mit Zeiten der Krisen und dramatischen Fristen. Das Leben eines Klienten liegt in den anwaltlichen Händen, was eine persönliche Eingebundenheit mit sich bringt, es liegt eine Art rechtliche Verantwortung vor.

Die Tatsache, einem Klienten mitzuteilen, dass kein Weg mehr aus dem Todestrakt führt und die Hinrichtung nicht aufzuhalten ist, wiegt besonders schwer. Und obwohl viele Todeskandidaten dennoch dankbar und keineswegs vorwurfsvoll ihren Anwälten gegenüber sind, falls die Verteidigung trotz noch so großer Mühen ins Leere gelaufen ist, ist die psychische Belastung doch immens. Auf beiden Seiten.

Das Gefühl, das Leben des Klienten in den eigenen Händen zu halten, ist ein zweischneidiges Schwert, ein Balanceakt zwischen Hoffnung und Verzweiflung. Im Falle einer Hinrichtung ist es besonders schwer, diese Tatsache nicht als Versagen des Könnens anzusehen. „Egal, wie oft man sich selbst sagt, alles Mögliche getan zu haben, dein Job war nun mal, das Leben des Verurteilten zu retten und du hast es nicht getan“, so schilderte ein Anwalt seine Gefühle, nachdem er innerhalb von drei Wochen drei Klienten verloren hatte.

Ein weiterer Punkt ist die zeitliche Einschränkung der Anwälte. Wenn ein Fall durch eine Hinrichtung „abgeschlossen“ ist, drängt schon der nächste auf Bearbeitung. Freiräume, sich selbst ein wenig Zeit für die Verarbeitung zu lassen, sich zu reflektieren, sind kaum vorhanden.

Dann werden schnell mal Hinrichtungsszenen in Filmen oder einfach ruhige Momente, beispielsweise im Auto, für plötzliche Weinattacken zur großen Überraschung.

Aufgrund dieser mangelhaften Verarbeitung, kommt es oftmals auch zu Problemen im privaten Bereich. Es kann nicht mehr abgeschaltet werden und berufliche Sorgen und Probleme werden in den privaten Alltag „geschleppt“. Somit haben auch die Familien darunter zu leiden.

Auch der Support der Todesstrafe und der daraus resultierende mangelnde Respekt gegenüber den Verteidigern sind Faktoren, die die Arbeit erschweren. Je nach Land stehen Anwälte auch unter besonderem Druck, der durch die Regierungen aufgebaut wird.

Und nicht nur die Anwälte leiden unter den Entscheidungen und Urteilen, obwohl diese in besonderem Bezug zum Angeklagten oder Verurteilten stehen. Dennoch sind auch Juroren, Richter und Gouverneure emotional betroffen.

Die Jury entscheidet in der sog. Strafmaßphase eines Prozesses über Leben und Tod, jeder einzelne Juror muss dann ein Leben lang mit dieser Entscheidung zurechtkommen. Im Gerichtssaal werden sie – die rechtlich „Ungeübten“ – mit Tatsachen, Bildern und Emotionen konfrontiert, die womöglich nie wieder vergessen werden können. Die Darstellung der Tat, Bilder der Opfer, Berichte von Zeugen auf der einen Seite, die Präsentation des Täters, dessen Anwälte auch die positiven Seiten hervorheben, auf der anderen Seite. Nicht selten nehmen Juroren psychologische Hilfe in Anspruch, wenn ein solcher Fall abgeschlossen ist.

Richter sind in einem Prozess, in dem es um ein Todesurteil geht, ebenfalls emotional involviert, auch wenn die Jury die eigentliche Richtung vorgibt. Aber nach der Verurteilung werden seitens des Verurteilten üblicherweise noch zahlreiche Anträge eingereicht, die Berufungsmöglichkeiten werden ausgeschöpft. Und einige davon landen vor dem Obersten US-Gerichtshof, insbesondere die sog. „last-minute-appeals“, die eingereicht werden, wenn die Hinrichtung direkt bevorsteht. Richterin Ruth Bader Ginsburg sagte, dies sei der härteste Teil des Jobs. Denn jedem Richter ist bewusst, dass, wenn der Antrag auf Aufschub abgelehnt wird, der Verurteilte hingerichtet wird. Ginsburg ist gegen die Todesstrafe. Sie ist der Meinung, ein Angeklagter, der eine „gescheite Verteidigung“ erhält, entgeht der Todesstrafe. Dennoch ist häufig das Gegenteil der Fall, denn viele Todesurteile werden gegenüber Menschen ausgesprochen, die nicht die finanziellen Mittel haben, sich ausreichend gut zu verteidigen. In immer wiederkehrenden Diskussionen und auch Rechtsklagen geht es auch um den Einfluss der Rasse, wenn es um ein Todesurteil geht. Immer wieder werden Prozesse neu aufgerollt, weil im Nachhinein Beweise auftauchen oder anderweitige Fakten vorliegen, dass bei einer Verurteilung Rassismus im Spiel war.

Scheitert ein zum Tode verurteilter Kläger vor dem Obersten US-Gerichtshof, kann er auf die Gnade seitens des Gouverneurs hoffen. In den letzten Jahren und Jahrzehnten haben verschiedene Gouverneure zahlreicher Bundesstaaten das Leid bekundet, das einen treffe, wenn die Entscheidung auf dem Tisch liege, einem Menschen die Gnade zu verweigern oder zu gewähren. Kaliforniens ehemaliger Gouverneur Edmund Brown, der 36 Hinrichtungen beiwohnte und in 23 weiteren Fällen den jeweiligen Gnadengesuchen stattgab, beschreibt seine Gedanken so: „Es war eine unglaubliche und ultimative Macht, über das Leben anderer entscheiden zu müssen, dies sollte weder eine Person noch eine Regierung tun.“

Im Januar 2003 wandelte Illinois’ Gouverneur George Ryan alle Todesurteile in lebenslange Haftstrafen ohne Chance auf vorzeitige Bewährung um, was 163 Männern und vier Frauen das Leben rettete. Es seien nicht nur die Fragen bezüglich der Unschuld, die immer wieder aufkämen, sondern die Todesstrafe als solches sei unfair, so erklärte sich der Gouverneur.

Mark White, ehemaliger Gouverneur von Texas, der im vergangenen Jahr mit 77 verstarb, erlebte in seiner Amtszeit von 1983 bis 1987 19 Hinrichtungen, war auch überzeugt von der Richtigkeit dieser Strafe für besonders schwere Gewaltverbrechen.

Doch später kamen ihm Zweifel. Das amerikanische Rechtssystem sei auf jeder Ebene fehlerhaft und die Hinrichtungen riskant und ebenfalls von problematischen Zwischenfällen gespickt. Die verpfuschte Hinrichtung von Clayton Lockett im Jahr 2014 schockierte ihn besonders.

Auch die vermeintlich vielen Unschuldigen, die in den Todestrakten der USA sitzen, sind ein Problem, mit dem sich das Gewissen eines jeden an den Prozessen beteiligten auseinandersetzen muss.

In der Gesamtheit ist deutlich zu sehen, dass es für niemanden leicht ist, in welcher Form auch immer an einem Todesurteil beteiligt zu sein, von einer Hinrichtung einmal ganz abgesehen. Die psychischen Belastungen eines Jeden sind enorm, im Gegensatz dazu, die Möglichkeiten einer psychologischen Unterstützung zu gering.

Jedes Todesurteil kann im schlimmsten Fall den Tod eines Unschuldigen bedeuten!

Der zweite Teil dieses Blogs wird sich mit den Auswirkungen von Hinrichtungen auf die ausführenden Kraft, die sog. „Executioner“ (Scharfrichter, Henker), beschäftigen.

Melanie Schwarz
Initiative gegen die Todesstrafe e.V.

Quellen:

https://www.themarshallproject.org/2017/09/28/after-executions-defense-attorneys-have-their-own-grief?utm_medium=social&utm_campaign=share-tools&utm_source=twitter&utm_content=post-top
(28.09.2017, The Marshall Project)

https://verdict.justia.com/2013/10/25/weight-capital-punishment-jurors-justices-governors-executioners
(25.10.2013, Paula Mitchell)

https://www.politico.com/magazine/story/2014/05/capital-punishment-106364
(05.05.2014, Mark White)

18.02.2018