Vietnam: Das Schicksal der Stadt Đồng Tâm – und zwei daraus resultierende Todesurteile

Obwohl Vietnam zu den Ländern gehört, die die Todesstrafe regelmäßig sowohl verhängen als auch ausrichten, ist es sehr schwer, an Informationen darüber zu kommen, da die Regierung dieses Thema als Staatsgeheimnis einstuft.

Bekannt ist, dass die zum Tode verurteilten Häftlinge in den Todestrakten unter unmenschlichen, grausamen Bedingungen leben müssen und ihren Hinrichtungstermin nicht vorher erfahren, so dass sie jeden Morgen mit der Angst erwachen, dieser Tag könne ihr letzter sein.

Die beiden Brüder Le Dinh Cong und Le Dinh Chuc, Bewohner des Dorfes Dong Tam, wurden zum Tode verurteilt, weil ihnen vorgeworfen wird, im Rahmen eines gewaltsamen Landkonfliktes den Tod dreier Polizisten verschuldet zu haben.

Was geschah in Đồng Tâm?

In den frühen Morgenstunden des 9. Januars 2020 drangen etwa 3000 Polizeibeamte in Đồng Tâm ein, um eine gewaltsame Landenteignung durchzuführen. Die Regierung plante, dort einen Militärflughafen zu bauen. Doch die Bewohner von Đồng Tâm leisteten Widerstand. Im Verlauf dieses Konflikts kamen nicht nur drei Polizisten ums Leben, sondern auch der 84-jährige Gemeindevorsteher Le Kinh Dinh.

Le Kinh Dinh war Mitglied der kommunistischen Partei und pensionierter Kommunalbeamter. In den letzten Jahren hatte er sich jedoch wegen der ständigen Konflikte um Landenteignungen zu einem Gegner der Regierung entwickelt.

Dorfbewohner berichteten, dass die Polizisten mit Stöcken, Knüppeln und Gewehren bewaffnet das Dorf stürmten und auf die Dorfbewohner einprügelten. Sie machten auch nicht vor Frauen oder älteren Menschen halt. Die Regierung wiederum behauptete, die Arbeiter, die die Mauer um den geplanten Flughafen bauen sollten, seien von den Dorfbewohnern mit Handgranaten, Benzinbomben und Messern angegriffen worden.

Unklarheiten in der Ermittlung

Die genauen Umstände, wie die Polizisten ums Leben kamen, konnten nie geklärt werden. Laut Sicherheitsministerium starben die drei Polizisten, nachdem sie von den Dorfbewohnern in Brand gesetzt worden waren. Herr Kinh sei mit einer Granate in der Hand in einem Haus tot aufgefunden worden.

Seine Familie streitet dies vehement ab. Sie sagen, dass ein weit verbreitetes Video seiner Leiche deutliche Schusswunden zeige.

Wenige Tage nach diesem Ereignis erschienen drei Mitglieder der Familie Kinh im Fernsehen mit zerschlagenen Gesichtern und gaben zu, selbstgebaute Waffen und Benzinbomben zu besitzen. Nach Ansicht von Menschenrechtsgruppen handelt es sich hierbei jedoch um erzwungene Geständnisse.

Die beiden Söhne des Dorfvorstehers, Le Dinh Cong und Le Dinh Chuc, wurden wegen Mordes zum Tode verurteilt. Ihnen wurde u.a. vorgeworfen, den Widerstand gegen die Polizei organisiert zu haben. Außer ihnen wurden noch 26 weitere Dorfbewohner zu zum Teil langjährigen Haftstrafen verurteilt.

Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit

Alle im Prozess vorgelegten Geständnisse waren nach Angaben der Betroffenen unter Folter erpresst worden. Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und Human Rights Watch bezeichneten die Prozesse als nicht rechtsstaatlich.

Die Verhafteten durften während der Untersuchungshaft weder ihre Familien noch ihre Anwälte sehen. Zeugen der Verteidigung wurden nicht gehört. Die Organisationen werfen der Regierung vor, ein Exempel statuieren zu wollen, um zukünftige Widerstände von Dorfbewohnern oder Bauern im Keim zu ersticken.

Landstreitigkeiten in Vietnam mit Tradition

Landstreitigkeiten haben in Vietnam eine lange Tradition und kommen häufig vor. Seit im Jahr 1980 das Recht auf privaten Landbesitz abgeschafft wurde, ist alles Land Eigentum des kommunistischen Staates. Die Regierung kann also alles Land für militärische oder zivile Zwecke nutzen.

Doch die Einheimischen, die dieses Land seit Generationen bewirtschaften, betrachten es als ihr Eigentum. Die vietnamesische Regierung gewährte der Bevölkerung Landnutzungsrechte, die Eigentumsrechten ähnelten, behielt sich jedoch das Recht vor, Land für Zwecke des öffentlichen Interesses zu erwerben.

Nicht der erste Konflikt in Đồng Tâm

Der Konflikt in Đồng Tâm ist nicht der erste. Bereits im Jahr 2017 setzten sich die Dorfbewohner gegen die entschädigungslose Enteignung ihres Landes zur Wehr. Nachdem die Polizei mehrere Bauern festgenommen hatten, hielten die Dorfbewohner ihrerseits 38 Polizisten über eine Woche gefangen. Sie wurden erst freigelassen, nachdem die Regierung einige Zugeständnisse gemacht hatte.

Nachdem in einem Berufungsverfahren 2021 die Todesurteile von Le Dinh Cong und Le Dinh Chuc bestätigt wurden, warten die Brüder immer noch auf ihre Hinrichtung.

Karin Rück
Initiative gegen die Todesstrafe e.V.

Seit dem Weltkongress gegen die Todesstrafe im November 2022 in Berlin ist die Initiative gegen die Todesstrafe e.V. freundschaftlich verbunden mit dem Bundesverband der vietnamesischen Flüchtlinge in der Bundesrepublik Deutschland e.V., der uns mit Informationen zur Todesstrafe in Vietnam versorgt.