Unscheinbare Opfer der Todesstrafe: Kinder von zum Tode verurteilten Eltern

Zum Tode verurteilte Menschen inklusive ihrer Straftaten stehen im Mittelpunkt, wenn es um die Todesstrafe und deren Umsetzung geht. Auch die Opfer und ihre Familien sind bei solch einem Urteil immer wieder im Fokus. Aber was ist mit den Kindern der Menschen, die ihre Angehörigen durch das Gesetz verlieren?

Kelly Gissendaner wurde am 29. September 2015 für den von ihr in Auftrag gegebenen Mord an ihrem Mann und gleichzeitig Vater ihrer mittlerweile erwachsenen Kinder Kayla, Dakota und Brandon in Georgia hingerichtet. Sie saß seit 1997 in der Todeszelle.

Ihre Tochter Kayla und ihr Sohn Dakota haben bis zum Schluss für sie gekämpft, haben versucht, die Hinrichtung ihrer Mutter aufzuschieben bzw. gänzlich zu verhindern. Sie sei eine ganze andere Person als früher, so beschrieb Dakota seine Mutter. Er habe mehrere Jahre gebraucht, um mit ihrer Tat klarzukommen, habe sie verachtet und verabscheut. Als er sich dann aber zu einem Besuch im Gefängnis habe durchringen können, habe er eine deutliche, positive Veränderung an ihr bemerkt.

Kayla sagte zudem einmal, dass ihr Vater nicht gewollt hätte, dass Kelly für das, was sie getan hatte, getötet würde. Er hätte nie gewollt, dass seine Kinder dieses Leid mit ansehen müssten.

Für die Hinrichtung wurden schon früher Termine festgesetzt, einmal im Februar 2015 und dann im März des gleichen Jahres, die aber jeweils aus unterschiedlichen Gründen hatten verschoben werden müssen.

Um Gnade bittend, wurde auch Kaylas geschriebenes Statement verlesen, in dem sie ihre Gefühle verdeutlichte. Die Tatsache, ihre Mutter zu verlieren, sei verheerend, ebenso die Vorstellung, mit ihr auch den zweiten Elternteil verlieren zu müssen. Ihre Mutter habe in der Zwischenzeit so viele Leben positiv beeinflusst. „Sie hinzurichten würde weder für Gerechtigkeit noch Frieden sorgen, für mich nicht und auch für sonst niemanden“, so Kayla Gissendaner.

Viele Jahre können von der Verurteilung bis zur Exekution vergehen. In einigen Fällen werden Männer verurteilt, ohne, dass ihre Kinder sie vorab haben (bewusst) kennenlernen können. Häufig hängt es dann von der Mutter oder der dann erziehungsberechtigten Person der Kinder ab, wie der weitere Verlauf der Erziehung und eventueller Kontaktaufnahme zum Vater gehandhabt wird. Wie geht sie mit der Situation um, wie erklärt sie ihren Kindern (später) die Situation? Sind dieKinder alt genug, um die erschütternde Situation zu verstehen, haben sie zumindest die Chance auf eine eigene Entscheidung, und sei es erst später, wenn sie das Jugend-oder Erwachsenenalter erreicht haben? Allerdings ist die Last, dass ein oder sogar beide Elternteile im Gefängnis sitzen, groß. Die Tatsache zu begreifen, dass der Vater oder die Mutter oder im schlimmsten Fall beide eine schwerwiegende Straftat begangen haben, bedeutet eine große Herausforderung. Das allein reicht häufig schon aus, eine Familie komplett auseinanderzureißen.

Besonders schwierig wird es dann aber, wenn ein Todesurteil gefällt wurde. Die innere Zerrissenheit der Zurückgebliebenen kann sich verschiedenartig äußern. Einige Menschen brechen den Kontakt gänzlich ab, was ebenfalls die unterschiedlichsten Gründe haben kann. Andere versuchen den Kontakt aufrecht zu erhalten, um der inhaftierten Person weiterhin beizustehen. Doch ist das je nach Alter der Kinder eine Herausforderung, besonders im Hinblick auf das soziale Umfeld der Kinder. Weiterhin sind die Besuchsregeln in den Haftanstalten auch sehr unterschiedlich, was einen Besuch durch schulpflichtige Kinder erschweren kann.

Auf der anderen Seite kann es auch passieren, dass der zum Tode Verurteilte selbst den Kontakt abbricht oder für eine Zeit einschränkt, aus Scham oder aus vermeintlichem Verantwortungsbewusstsein seiner Familie gegenüber. Besonders dann, wenn die Kinder zum Verurteilungszeitpunkt noch sehr klein waren und gar nicht wirklich verstanden haben, warum der Vater oder die Mutter nun nicht mehr zu Hause wohnt. Werden diese Kinder zu Jugendlichen, gibt es auch immer wieder Eltern, die zum Schutz der Kinder nicht möchten, dass ihnen bewusstwird, dass der eine Elternteil im Gefängnis sitzt.

Eine bevorstehende Exekution kann diese Entscheidung allerdings manchmal umkehren. Einige Elternteile möchten dann den Kindern doch noch einmal die Möglichkeit geben, sich zu verabschieden oder über alles zu sprechen.

Ein anderer Fall sind Kinder, die im Todestrakt geboren werden und noch bevor sie ihre Umwelt umfangreich wahrnehmen können, durch eine Hinrichtung die Mutter verlieren. Was in den USA selten vorkommt, kommt in verschiedenen anderenNationen häufiger vor. Im besten Fall werden diese Kinder direkt in Pflegefamilien vermittelt oder können einen bislang unerfüllten Kinderwunsch eines Paares befriedigen.

Besondere Schwierigkeiten ergeben sich auch, wenn es nötig wird, kleineren Kindern die Nachricht zu vermitteln, dass der Staat ein Elternteil hinrichten wird oder bereits hingerichtet hat. Die Nachricht in eine kindgerechte Form zu bringen, ist in diesem Fall besonders schwierig, denn häufig wird solch ein Tod mit einer Art Hilflosigkeitder Angehörigen verbunden. Wenn Eltern beispielsweise durch einen Unfall oder eine Krankheit den Kindern genommen werden, kann das mit „der Tat Gottes“ gerechtfertigt werden. Bei einer Hinrichtung bestehen häufiger Zweifel, ob man nicht doch hätte eingreifen oder anderweitig hätte tätig werden können, um dieses Ende zu verhindern.

Es gibt verschiedene Studien, die belegen, welch seelischen Belastungen solche Kinder ausgesetzt sind. Neben dem Verlust der wichtigsten Person(en) im Leben, mangelt es ebensohäufig an einem Zuhause, an Menschen, die sich um sie kümmern, und auch an Bildung. Einige der betroffenen Kinder werden -sofern es bekannt ist, dass ein Elternteil im Gefängnis war und sogar das Todesurteil erhielt -von der Umwelt diskriminiert. Das soziale Umfeld ist stark eingeschränkt und kann im schlimmsten Fall dazu führen, dass die Entwicklung des „zurückgelassenen“ Kindes nicht altersgerecht verläuft und auch in die Kriminalität führt.

Die geistige Gesundheit bleibt in den meisten Fällen ebenfalls nicht unberührt. Psychische Erkrankungen wie Depressionen oder Angstzustände sind geläufige Folgen des Verlusts der Eltern oder eines Elternteils auf solch tragische Weise. Aggressives Verhalten oder andere Verhaltensauffälligkeiten gehören häufig zum Leben eines solchen Kindes oder Teenagers. Selbst wenn der inhaftierte Elternteil nicht hingerichtet wird, tragen die zurückbleibenden Kinder eine große Last.

Erschwerend kommt in verschiedenen Ländern wie beispielsweise dem Iran, Taiwan oder auch Belarus die Tatsache hinzu, dass die Angehörigen vorab nicht von der Hinrichtung ihres Familienmitglieds erfahren. Auch nach der Hinrichtung findet die Benachrichtigung über den Tod zum Teil erst Wochen oder sogar Monate später statt. Die Angehörigen haben keineMöglichkeit, sich zu verabschieden oder ihr geliebtes Familienmitglied zu beerdigen. Das belastet dann besonders die Kinder, die zurückbleiben. Und abgesehen von der moralischen Verwerflichkeit, widerspricht dieser Fakt, wie Amnesty International betont, auch den Menschenrechten.

16. September 2017

Melanie Schwarz
Initiative gegen die Todesstrafe e.V.

Neben eigenen Erfahrungsberichten wurden folgende Quellen verwendet:

Amnesty International Dokumente (2013)
https://www.amnesty.org/en/documents/ior41/013/2013/en/
UN Human Rights (2013)
http://www.ohchr.org/EN/NewsEvents/Pages/HiddenVictims.aspx UND http://newsarchive.ohchr.org/en/NewsEvents/Page/DisplayNews.aspx?NewsID=13709&LangID=E

Quaker United Nations Office (2013)
http://www.quno.org/sites/default/files/resources/English_Children%20of%20parents%20sentenced%20to%20death%20or%20executed.pdf

Der Fall Kelly Gissendaner
https://www.yahoo.com/news/children-of-mom-on-death-row-make-last-minute-plea-129582039007.html

Bericht aus der Huffington Post (2017)
http://www.huffingtonpost.com/entry/kids-parents-in-prison-arkansas-voices_us_5995fb5ae4b01f6e801d36f5

24.09.2017