Texas: Richter begünstigen Pflichtverteidiger – resultierend in mangelhafter Verteidigung

Zwei Bezirksrichter aus Harris County im US-Bundesstaat Texas sehen sich mit dem Vorwurf der Begünstigung bei der Ernennung privater Verteidiger für Fälle mittelloser Angeklagter konfrontiert. Die Beschwerden richten sich gegen die Richter Robert Johnson und Amy Martin, denen vorgeworfen wird, dass sie wiederholt ein Staatsgesetz missachtet haben, das Richter dazu verpflichtet, bei der Ernennung von Pflichtverteidigern örtlichen Anwälten Vorrang einzuräumen.

Bislang haben Johnson und Martin im Jahr 2020 nach Angaben des Bezirks nur 0,15 Prozent ihrer Fälle an das Amt des Pflichtverteidigers von Harris County verwiesen – viel weniger als die 20 Prozent, für die das Amt nach eigenen Angaben ausgestattet ist. Das Beharren der beiden Richter auf der Ernennung bestimmter privater Verteidiger habe die Arbeitsbelastung dieser Anwälte überstrapaziert und damit die Rechte der Angeklagten auf eine qualitativ hochwertige Verteidigung gefährdet.

Seit ihrem Amtsantritt hat Richterin Martin mehr als 3.000 Fälle an private Anwälte vergeben. In den Jahren 2019 und 2020 bewilligte sie beispielsweise mehr als 300.000 Dollar für den Strafverteidiger Jerome Godinich, mit dem sie früher in Todesstrafe-Fällen zusammenarbeitete. Im Jahr 2019 wies Martin in ihrem Gericht 328 Angeklagte Godinich als Pflichtverteidiger zu. Eine Studie der Texas A&M University aus dem Jahr 2014 ergab, dass ein Anwalt im Durchschnitt nur 128 Klienten pro Jahr in Schwerverbrechensfällen kompetent vertreten kann.

Godinich für verpasste Fristen bekannt

Jerome Godinich ist bereits 2009 dafür bekanntgeworden, dass er mehrfach Abgabefristen für Schriftsätze in Todesstrafe-Fällen verstreichen ließ, was in wenigstens einem Fall mit der Hinrichtung seines Mandanten endete. 2009 wurde in dem Zusammenhang kritisiert, dass rund ein Drittel der Pflichtverteidiger für Kapitalverbrechen in Texas mehr als die Obergrenze von 150 Fällen pro Jahr bearbeitet. Spitzenreiter war damals Godinich mit rund 360 Fällen jährlich. Von 2006 bis 2009 habe er etwa 1400 Mandanten vertreten und dafür 700.000 Dollar erhalten. Offenbar hat sich seitdem nichts Wesentliches geändert.

Welttag gegen die Todesstrafe beklagt mangelhaften Rechtsbeistand

Der Welttag gegen die Todesstrafe liegt erst zwei Wochen zurück, und einmal mehr wird die Brisanz seines diesjährigen Themas deutlich: „Rechtsbeistand – eine Frage von Leben oder Tod“. Denn einerseits leidet die Qualität der Verteidigung massiv unter der Überlastung der Anwälte mit ihrer Übernahme von viel zu vielen Straffällen. Verpasste Abgabefristen sind dabei nur die sichtbare Spitze des Eisbergs.

Auf der anderen Seite wirken die genannten sechsstelligen Summen, die der Pflichtverteidiger erhält, zwar astronomisch hoch – jedoch umgerechnet auf die Zahl der Fälle wird deutlich, dass dem Pflichtverteidiger pro Mandant im Schnitt zwischen 500 und 1000 Dollar zur Verfügung stehen. Während die Staatsanwaltschaft besonders in einem Todesstrafe-Prozess in der Regel ein Vielfaches an Mitteln einsetzen kann, reicht das Budget des Pflichtverteidigers häufig nicht einmal für ein Gutachten durch einen Sachverständigen oder einen privaten Ermittler.

Letztlich ist es aber in Texas offenbar auch nicht von Interesse: Als der zum Tod verurteilte Calvin Burdine, dessen Pflichtverteidiger nachweislich im Prozess mehrfach eingeschlafen war, auf unzureichenden Rechtsbeistand klagte, lautete ein erstes Urteil sinngemäß: Im Gesetz stehe nur von einem Recht auf einen Anwalt zu lesen. Nicht dass dieser auch wach sein müsse.

Gabi Uhl
Initiative gegen die Todesstrafe e.V.

Quellen:
https://www.houstonchronicle.com/news/houston-texas/houston/article/harris-county-judges-favoritism-allegations-15646882.php
http://texasdeathpenalty.blogspot.com/2009/04/death-row-lawyers-get-paid-while.html
https://www.chron.com/news/houston-texas/article/Attorneys-overworked-in-Harris-County-death-row-1727249.php

https://www.latimes.com/archives/la-xpm-2003-jun-20-na-sleep20-story.html

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