Präsidentschaftswechsel in den USA: Hoffnung für das Justizsystem? Was wir erwarten und hoffen können

Blogserie Teil 2 zum Präsidentschaftswechsel

von C. Cornelia Goecke

Seit der Präsidentschaftswahl ist das ohnehin schon gespaltene Amerika in Aufruhr. Am 20. Januar war es endlich soweit und Joe Biden wurde als 46. Präsident der USA unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen in sein Amt eingeführt. Und wir fragen uns natürlich, welche Bedeutung der Präsidentschaftswechsel für das Justizsystem und die Todesstrafe haben wird?

Rassismus, Corona-Krise, Angriffe auf die Demokratie, Einwanderungspolitik: Joe Biden tritt als Trump-Nachfolger ein schweres Erbe an. Noch nie schienen Angst und Hoffnung innerhalb der amerikanischen Bevölkerung so eng beieinander zu liegen. Es sind somit viele Baustellen, die der 78-jährige Präsident vor sich hat, und selten vollzog sich ein derart dramatischer Machtwechsel.

Einzigartig in der amerikanischen Geschichte ist zudem, dass sich Joe Biden als erster amerikanischer Präsident überhaupt bereits vor seinem Amtsantritt klar gegen die Todesstrafe ausgesprochen hat. Die Abschaffung der Todesstrafe auf Bundesebene ist fester Bestandteil seiner umfangreichen Criminal Justice Police. „Als Präsident wird Joe Amerikas Bestreben nach Gerechtigkeit stärken und das Justizsystem reformieren“, heißt es auf seiner Homepage. Entsprechend hoch sind die Erwartungen nach der schockierenden Trump-Ära, in der 13 Bundesgefangene innerhalb nur weniger Monate hingerichtet wurden. Doch welche Wahlversprechen wird Joe Biden einhalten und inwieweit hat er überhaupt die Befugnis, diese umzusetzen?

Bidens Möglichkeiten, die Todesstrafe auf Bundesebene abzuschaffen

Egal, wie ernst es Joe Biden mit seinen Vorhaben sein mag: Einfach wird es für ihn nicht, umfangreiche Gesetzesänderungen durchzusetzen. Denn auch der Präsident hat keine Befugnis, die Todesstrafe auf Bundesebene im Alleingang abzuschaffen. Er braucht hierzu den Senat, der zunächst die entsprechenden Gesetzesänderungen einreichen und ihnen danach mehrheitlich zustimmen muss.

Entsprechende Gesetzentwürfe liegen bereits vor: So reichten die beiden Präsentanten Adriano Espaillat und Ayanna Pressley bereits im Januar Entwürfe ein, die die Todesstrafe auf Bundesebene abschaffen sollen. Doch wie wahrscheinlich ist es, hierfür die Mehrheit im Senat zu gewinnen? Ein derartiges Gesetz würde 60 der insgesamt 100 Senatsstimmen erfordern. Selbst wenn unter den Demokraten absolute Einigkeit herrschen würde und damit 50 Stimmen gesichert wären, bedürfte es 10 weiterer Stimmen seitens der Republikaner.  Man muss wohl kein Hellseher sein, um dieses Szenario als recht unwahrscheinlich einzustufen.

Begnadigungen aller Bundesgefangenen

Daneben hat der Präsident auch die Möglichkeit, sämtliche Bundesgefangenen begnadigen und ihre Urteile umwandeln zu lassen. Barack Obama machte hiervon im Jahr 2017 Gebrauch als er zwei der damals 64 Bundesgefangenen begnadigen ließ. Eine herbe Enttäuschung für all jene, die auf weit mehr Begnadigungen gehofft hatten. Zumal es Trump daran hätte hindern können, seinen Hinrichtungsmarathon zu vollziehen.

Entsprechend wird auf ein schnelles Agieren Joe Bidens gehofft. Nur zwei Tage nach seiner Amtseinführung legten ihm die Repräsentanten Cori Bush und Ayanna Pressley mit 35 weiteren Demokraten ein Schreiben vor, in dem sie den Präsidenten vehement zur sofortigen Urteilsumwandlung der verbleibenden 49 Bundesgefangenen auffordern.

Auch ein Moratorium könnte Biden aussprechen. Zwar könnte dies nach seiner Amtszeit sofort wieder aufgehoben werden, doch hätte es zumindest symbolischen Charakter und würde Joe Bidens Ansichten zum höchst reformierungsbedürftigen Justiz- und Todesstrafen-System untermauern.

Weitere Möglichkeiten, das Aussprechen von Todesurteilen zu erschweren, hätten auch die Abgeordneten. Indem sie entsprechende Gesetzesänderungen verabschieden, wie z.B. eine Reduzierung der möglichen Straftatbestände, die ein Todesurteil nach sich ziehen. Betrachtet man Joe Bidens Vergangenheit genauer, würde dies bedeuten, dass man vorherige Gesetze, die er selbst propagiert und verabschiedet hat, wieder rückgängig machen würde.

Vom vehementen Befürworter der Todesstrafe zum entschiedenen Gegner

Denn Joe Biden war nicht immer ein Gegner der Todesstrafe. Im Gegenteil: Über Dekaden zählte er zu einem vehementen Befürworter und radikalen Unterstützer: 1994 verabschiedete er als Senator den „Federal Death Penalty Act“, ein Gesetz mit 60 zusätzlichen Straftatbeständen, die ein Todesurteil nach sich ziehen können. Er selbst bezeichnete dies damals als „seine bislang größte Errungenschaft“ und spielte genau damit Trump in die Hände: Denn gleich mehrere der Bundesgefangenen, die unter der Regierung Trumps im letzten Jahr hingerichtet wurden, waren wegen genau diesem von Biden herausgegebenen Gesetz zum Tode verurteilt worden.

Seine heutige Einstellung steht damit im kompletten Gegensatz zu seinen früheren Ansichten und Amtshandlungen. Inzwischen verweist er immer wieder auf die über 170 Unschuldigen, die seit der Wiedereinführung der Todesstrafe fälschlicherweise zum Tode verurteilt worden waren. Die Abschaffung der Todesstrafe auf Bundesebene ist nun Teil seiner umfangreichen Criminal Justice Police.

Zum Tode Verurteilte stehen Joe Biden und seiner Vizepräsidentin gespalten gegenüber

Betrachtet man Joe Bidens Vergangenheit und seine zahlreichen Gesetzesänderungen bezüglich Kapitalverbrechen, an denen er als Senator beteiligt war, ist es nicht verwunderlich, dass die betroffenen Bundesgefangenen den Wahlversprechen mehr als kritisch gegenüberstehen. Shannon Agofsky, Bundesgefangener im Todestrakt von Indiana, ist ein eindrucksvolles Beispiel hierfür: In Teil 1 unserer Blogserie legt der 49-Jährige dar, was er von dem Duo Biden und Harris erwartet.

Und wenn man genauer hinter die Kulissen schaut, erstaunt die Skepsis und Nüchternheit keineswegs: Denn nicht nur Joe Biden hat früher konträr seiner heutigen Ansicht und Aussagen gehandelt. Auch Kamala Harris hat in ihrer vorherigen Funktion als Staatsanwältin in Kalifornien bei verschiedenen Justizskandalen für kritische Schlagzeilen gesorgt. In gleich mehreren Fällen wurde sie für das Vertuschen von Beweisen verantwortlich gemacht, welche unschuldig Verurteilte hätten befreien können. Hierzu zählte auch der Fall des zum Tode verurteilten Kevin Cooper, dem sie als Staatsanwältin die Möglichkeit einer neuen DNA-Analyse verweigert hatte. In anderen Fällen, wie dem von Caramad Conley, der 1992 wegen angeblichen Mordes zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt wurde, entschied sie gegen ein Neuverfahren des Prozesses. Obwohl bereits ein Richter befunden hatte, dass die Verurteiltung auf von der Staatsanwaltschaft manipulierten Beweisen beruht hatte. Caramad Conleys Unschuld und die gekaufte Zeugenaussage, die ihn belastet hatte, konnten später noch erwiesen werden. Er erhielt eine 3,5 Mio. Dollar schwere Entschädigung für die falsche Verurteilung.

Ein ungeschriebenes Blatt sind daher weder der Präsident noch die Vizepräsidentin. Und Fakt ist, dass auch Joe Bidens Möglichkeiten als Präsident begrenzt sind. So dass man nur hoffen kann, dass er wenigstens die ihm verbleibenden Spielräume vollständig ausschöpft, damit seine Wahlversprechen keine leeren Worte bleiben.

Claudia Cornelia Goecke

Mitglied der Initiative gegen die Todesstrafe e.V.

Quellen und weitere Informationen:

Biden appears to be softening his stance on the death penalty„, Politico vom 20. Juni 2019; „The Biden plan for strengthening America’s commitment to justice„, offizielle Website von Joe Biden; „Donald Trump und die Todesstrafe„, Initiative gegen die Todesstrafe e.V. vom 16. Januar 2021. „Democrats Unveil Legislation To Abolish The Federal Death Penalty„, NPR vom 11. Januar 2021; „What Happens to the Federal Death Penalty in a Biden Administration?„, Time vom 25. Januar 2021; „A 1994 law Joe Biden wrote put these 4 men on death row„, Vox vom 26. Juli 2019; „Fact check: Did Kamala Harris block evidence that would have freed inmates?„, Sacramento Bee vom 31. Juli 2019; „Kamala Harris‘ dual roles, ‚mixed record‘ with the death penalty„, ABC News vom 21. August 2019; „Five times prosecutor Kamala Harris got the wrong guy„, Washington Examiner vom 1. September 2019.

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