Saudi-Arabien: Weiterhin Todesurteile für minderjährige Straftäter

Vor zwei Jahren verabschiedete die saudi-arabische Regierung eine neue Strafrechtsreform, welche die Todesstrafe für minderjährige Straftäter einschränkt. Doch sollen weiterhin Männer zum Tode verurteilt werden, die zum Zeitpunkt ihrer Straftat noch minderjährig waren.

Acht Männer sollen nach dem Willen der Ankläger von saudi-arabischen Gerichten wegen verschiedener begangener Straftaten zum Tode verurteilt werden. Laut Human Rights Watch wurden einige der aufgeführten Verbrechen begangen, als die Verurteilten zwischen 14 und 17 Jahre alt waren. Einer der Angeklagten soll wegen eines gewaltlosen Verbrechens verurteilt werden, das er angeblich im Alter von 9 Jahren begangen hat.

„Saudische Meinungsmacher vermarkten die Justizreformen als Fortschritt, während die Staatsanwälte sie offensichtlich eklatant ignorieren und wie üblich weitermachen“, kommentierte Michael Page, stellvertretender Direktor für den Nahen Osten bei Human Rights Watch. „Wenn Saudi-Arabien es mit der Reform seines Strafrechtssystems ernst meint, sollten sie damit beginnen, die Todesstrafe für mutmaßliche Kinderstraftäter in allen Fällen zu verbieten.“

Die Staatsanwaltschaft wirft den inhaftierten Männern mehrere Anklagepunkte vor, darunter „Versuch, das soziale Gefüge durch die Teilnahme an Protesten und Trauerzügen zu destabilisieren“, „das Singen regimefeindlicher Parolen“ und „Versuch, Zwietracht und Spaltung zu schüren“. Alle Männer stammen aus der Ostprovinz Saudi-Arabiens, in der der größte Teil der schiitischen Minderheit des Landes lebt.

Im Jahr 2018 ist in Saudi-Arabien ein Jugendgesetz eingeführt worden, welches eine Höchststrafe von zehn Jahren Gefängnis für jeden vorsieht, der vor seinem 18. Lebensjahr eine Straftat begangen hat und nach dem islamischen Rechtsprinzip des „ta’zir“ verurteilt wurde. Für „Ta’zir“-Vergehen gibt es nach islamischem Recht keine festgelegten Strafen, und die Richter haben einen weiten Ermessensspielraum bei der Festlegung von Strafen in Einzelfällen.

Diese Bestimmung gilt jedoch nicht für „qisas“ (Vergeltungsdelikte) – in der Regel wegen Mordes – oder „hudud“ (schwere Straftaten, die nach der Auslegung des islamischen Rechts des Landes definiert sind und mit spezifischen Strafen belegt werden). Die Staatsanwälte streben die Todesstrafe für die acht Männer unter „hudud“ an, wodurch sie bei einer Verurteilung zum Tode nicht begnadigt werden könnten.

Die Euphorie aller Menschenrechtsaktivisten über die neue Strafrechtsreform vor zwei Jahren war damit verfrüht: Genügend Gesetzeslücken ermöglichen es in Saudi-Arabien weiterhin, dass Todesurteile gegenüber minderjährigen Strafttätern verhängt werden.

Saudi-Arabien zählt weiterhin zu den fünf Ländern weltweit, in denen jährlich am meisten Todesurteile gefällt und vollstreckt werden. In den letzten Jahren wurde im Schnitt jeden zweiten Tag eine Hinrichtung durchgeführt. Die übliche Exekutionsmethode ist Enthauptung. Lesen Sie mehr hierzu in unserem Kurzbericht „Die Todesstrafe in Saudi-Arabien„.

Quelle und weitere Informationen:
Saudi Arabia: Alleged Child Offenders Face Death Sentences„, Human Rights Watch vom 20. Oktober 2020